Olympia-Finale als großer Traum

01.08.2021 - Mit Riesenschritten rückt die Karate-Olympia-Premiere näher. Gleich am ersten Tag dieser neuen Sportart im Zeichen der Ringe, am Donnerstag, steigt die European Games-Siegerin der Klasse bis 50 kg, Bettina Plank, im Nippon Budokan auf die Tatami. In Tokio muss sie sich allerdings – aufgrund der zusammengelegten Gewichtsklassen – in der Kategorie -55 kg behaupten. Beim Trainingscamp in Kameoka holt sich die 29-Jährige bis Montag den letzten Schliff. Auch bei Österreichs Kampfrichter Alois Wiesböck steigt das Olympia-Fieber . . .

Karate-Austria-Pressechef Miguel Daxner sprach mit dem 48-jährigen St. Pöltener vor der Abreise nach Japan:

Sie wurden als einer von nur 16 Kampfrichtern zu den Olympischen Spielen einberufen. Was bedeutet das für Sie?

„Der Weg, um sich für Tokio zu qualifizieren war für Sportler extrem hart. Aber ähnlich schwer war es für die Kampfrichter. Es gibt etwa 800 internationale Kampfrichter weltweit. Für einen Unparteiischen aus einem kleinen Land ist es dazu noch schwieriger, da es bei derartigen Entsendungen auch sportpolitsche Hintergründe gibt. Ich hatte also viele Hürden zu meistern. Somit ist für mich eine besonders coole Sache, bei diesem Event dabei sein zu dürfen. Es gab ab 2018 eine Long List, die heuer auf 26 Kampfrichter reduziert wurde. Die letzten Selektionen gab es bei der Premier League in Istanbul und in Portugal – und beim Qualifikationsturnier in Paris war bereits das Tokio-Team im Einsatz. Dort gab es auch den letzten Workshop.“

Sie waren schon bei Welt- und Europameisterschaften. Welcher Moment war bislang der schönste?

„Ich war bei den European Games in Baku 2015 und Minsk 2019, bei den World Games in Polen 2018 und bei 15 Weltmeisterschaften und 30 Europameisterschaften im Einsatz. Unvergesslich ist dabei die WM 2012 in Paris: Vor 12000 Zuschauern auf die erhöhte Kampffläche vor einem Finale zu steigen – das ist auch für einen Kampfrichter ein ganz besonderer Moment in Paris 2012.“

Olympisches Flair im kleinen Stil durften Sie ebenfalls bereits genießen. Welche Erfahrung machten Sie bei den Olympic Youth Games in Argentinien 2018?

„In Buenos Aires war erstmals die Olympische Luft so richtig zu spüren. Da setzte uns WKF-Präsident Antonio Espinós besonders unter Druck.“

Dieser Druck ist auch diesmal zu erwarten. Aber leider ohne Zuschauer. Was ist Ihre Meinung dazu?

„Es ist wirklich sehr schade – speziell für Karate. Japan hat ein echtes Fachpublikum – dieses Flair fehlt nun in der Halle. Aber es muss uns allen bewusst sein, dass wir fünf Milliarden Zuschauer die Chance geben, Karate kennenzulernen. Wir wollen im TV würdige Olympiasieger küren und Karate ins Rampenlicht rücken. Dazu gehört eine perfekte Kampfrichter-Qualität.“

Wie hoch ist die Chance, dass Sie ein Finale leiten dürfen?

„Das wäre der große Traum. Wir haben acht Endkämpfe und 16 Kampfrichter. Ein Olympiafinale wäre die Kirsche auf der Torte und die Belohnung für die lange, harte Vorbereitung.“

Wer teilt die Final-Kampfrichter ein?

„Chef-Referee ist Javier Escalante von der WKF. Aber die Einteilung erfolgt über ein Computersystem – also per Los.“

Sie sprachen von einer harten Qualifikation. Welche Entbehrungen mussten Sie auf sich nehmen?

„Im Jahr 2019 musste ich für die Qualifikation 60 Arbeitstage ohne Samstag und Sonntag Urlaub opfern und in der Restzeit Überstunden machen, um zu den Events fliegen zu können. Man muss dort topfit sein, denn die Arbeitstage sind lang. In der Youth League ist man von 7 Uhr Früh bis 1:30 Uhr Nachts vier Tage lang in der Halle. Man erlebt Topkämpfe und will dabei selbst eine Superleistung abliefern. Je besser man als Kampfrichter ist, desto öfter kommt man dran. Als Mattenchef hat man außer 20 Minuten zu Mittag gar keine Pause. Man arbeitet zusätzlich administrativ, muss darauf achten, dass keine Judges aus den Ländern der Kämpfer zum Einsatz kommen. Das gilt auch für Kampfrichter aus Ländern von ausgeschiedenen Sportlern, die eventuell die Trostrunde erreichen könnten. Kämpft also in Tokio Bettina Plank, dann komme ich nicht zum Einsatz – und das ist auch gut so. Dazu muss man stets eine Vorbildwirkung vorleben. So gilt etwa ab der Landung in einem Veranstalterland bis zum Abflug Alkoholverbot.“

Wird dieser enorme Aufwand finanziell abgegolten?

„Flug und Hotel werden immer übernommen und es gibt eine kleine Aufwandsentschädigung. Aber meine größte Belohnung ist der Einsatz nun bei Olympia. Ich bin jetzt stolz, wo ich jetzt bin.“

Warum wurden Sie Kampfrichter?

„Ich war zu meiner aktiven Zeit mit vielen sportpolitischen Entscheidungen konfrontiert und somit sehr unzufrieden. Ich sagte mir, nur schimpfen ist zu wenig. Deshalb entschied ich mich das Regulativ zu lernen und selbst aktiv einzugreifen. Für mich gibt es im Moment des Kampfes keine Namen und keine Nationen – nur rot oder blau.“

Wie war Ihre sportliche Laufbahn und wann wurden Sie Kampfrichter?

„Mein größter Erfolg war der Vize-Staatsmeister-Titel im Schwergewicht, ich bestritt in St. Pölten aber auch Katabewerbe, beendete aber früh meine Karriere und trainierte Karina Gansch, die 1996 WM-Bronze in Südafrika gewinnen konnte. Schon 1993 erwarb ich die österreichische Kampfrichterlizenz, 2000 war ich Judge auf Europa und 2006 auf Weltebene. Seit 2011 habe ich die höchsten Lizenzen. Außerdem war ich war Chairman der EKF und bin heute Kampfrichter-Obmann von Karate Austria. Alles immer unter der Prämisse: ich möchte immer am Abend in den Spiegel schauen können und zufrieden sein, weil ich gute Entscheidungen getroffen habe. Ich bin auch als Europa-Chairman nicht nur am Tisch gesessen und habe Kritik geübt. Ich stieg selbst auf die Matte – auch auf die Gefahr hin, Fehler zu machen.“

Es gibt seit einigen Jahren auch den Videobeweis. Wie ist Ihre Meinung dazu?

„Ich meine, dass diese Entscheidungen noch nicht ausgereift sind. Viele Referees achten nur darauf, ob die Technik im Ziel ist, oder nicht. Dabei vergessen sie die Komponenten Dynamik und Distanz. Ich selbst werte bei Challenges häufig mit ,No´ und schaue lieber 5 Sekunden länger, ob die hohen Kriterien für einen Punkt erfüllt sind. Wenn der Wiesböck einen Treffer anzeigt, dann war es sicher eine gute Technik. Es gibt aber auch Kampfrichter, die viele Treffer werten. In Tokio gibt es zwei fixe Videoreferees und zwei Reserven, die bei nationalen Interessenskonflikten zum Einsatz kommen.“

Kommen wir zur schwer nachvollziehbaren Kata – wie könnte man diese Disziplin einfacher für die Zuschauer machen?

„Kata ist ein sehr schwieriges Thema. Die Variationen sind schwammig formuliert. Japaner setzen oft neue Trends, dann finden sich Nachahmer und solange Referees das zulassen werden diese Trends erweitert. Dann muss wieder reguliert werden. Dazu kommen die verschiedenen Stilrichtungen. Dafür braucht man viel Wissen. Selbst Kampfrichter kennen oft nur die eigene Stilrichtung und werten, was besser aussieht – sie lassen sich auch häufig blenden. Hier muss es Reformen und bessere Ausbildungen geben.“

Wie funktioniert die Weiterbildung der Kampfrichter?

„In Österreich haben wir eine Fortbildung pro Jahr. International fehlt das leider. Nur ein schriftlicher Test muss alle vier Jahre abgelegt werden, dazu ist alle zwei Jahre ein Einsatz bei einer WM oder EM von Nöten. Das ist aus meiner Sicht zu wenig.“