Karate-Austria-Pressechef Miguel Daxner sprach mit der Ausnamekämpferin nach der 400 Kilometer langen Busfahrt vom Olympia-Camp ins Olympische Dorf:
Nach dem verpatzten Qualifikationsturnier in Paris waren Sie einfach leer, dann konnten Sie sich als European Games-Siegerin im Wege der kontinentalen Repräsentation für Tokio qualifizieren, was aber erst nach dem Qualifikationsturnier in Paris feststand. Sind Sie nach der mentalen Hochschaubahn nun psychisch bereit für Olympia?
„Wir haben sehr viel mental und auf der Matte gearbeitet. Ich bin froh, dass ich dabei sein darf und, dass es jetzt bald so weit ist und freu mich auf den Wettkampf.“
Sie sind erst am Montag am Nachmittag im Olympischen Dorf angekommen. Davor waren Sie im Trainingscamp in Kameoka. Wie waren dort die Bedingungen?
„Wir hatten perfekte neun Tage in Kameoka und waren überwältigt von der Gastfreundschaft, die uns die Stadt entgegengebracht hat. Während viele Kooperations-Städte die Trainingscamps, wegen der Umstände und vielleicht auch wegen der ablehnenden Haltung der Bevölkerung gegen Olympia gecancelt haben, stand uns Kameoka immer ohne Wenn und Aber zur Seite. Wir durften wegen Corona zwar nur im Hotel beziehungsweise in einer der drei Trainingshallen sein, durften nicht ins Freie, wurden aber rundum verwöhnt. Wir bekamen das Essen auf die Zimmer, im Hotel war ein komplettes Stockwerk für uns reserviert, jeder von uns hatte gleich zwei nebeneinander liegende Hotelzimmer zur Verfügung, dazu hatten wir einen Meeting-Raum, einen weiteren für die Physio-Therapie, einen für die Essensausgabe und die Getränke, einen für die PCR-Tests und den langen Gang, den wir für zusätzliche Trainingseinheiten nützen konnten. Nach den täglichen PCR-Tests wurden wir in eigenen Fahrzeugen zum Training und zurück gebracht.“
Sie wurden auch von den Japanern überrascht – wie genau?
„Mit einer corona-konformen Welcome-Party und am Sonntag gab es auch noch eine Farewell-Party im VIP-Raum des nagelneuen Kyoto Sanga Stadions. Von FC Sanga Kyoto kommt übrigens der frühere Red Bull Salzburg-Kicker Masaya Okugawa. Und bei der Abreise haben uns die Japaner noch einmal überrascht, als der Bus, anstatt auf die Autobahn nach Tokio zu fahren, zur City Hall von Kameoka abgebogen ist, wo das komplette Personal des Hauses mit rotweißroten Fahnen angetreten war, um uns zu verabschieden. Der Bürgermeister hat selbst eine Fahne für mich beschriftet und sie uns übergeben. Es war ein unglaublich berührender Moment, diese Freundschaft und die Unterstützung noch einmal spüren zu können.“
Sie durften zwei Sparringpartner aus Österreich mitnehmen. Wie kam es dazu?
„Es war eigentlich angedacht, dass ich japanische Kämpferinnen zum Sparring zur Verfügung gestellt bekomme. Das war wegen COVID aber nicht gestattet, und so durfte ich zwei österreichische Kumite-Asse mitnehmen.“
Sie setzten dabei auf die Athleten der Nachwuchs-EM, die ab 20. August im finnischen Tampere in Szene gehen wird. Neben der U18-WM-Dritten von 2019, Aleksandra Grujic, entschieden Sie sich auch für einen männlichen Trainingspartner, nämlich für den U18-Dritten der Youth League von Umag 2019, Matthias Kowarik. Was waren die Hintergründe?
„Da bei Olympia – und nur bei Olympia – die beiden Gewichtsklassen -50 kg und -55 kg zusammengelegt werden, muss man verschiedene Taktiken trainieren. Matthias ist ein Kämpfer der Klasse -67 kg, dementsprechend größer, und sehr athletisch. Er verhält sich auch anders, als meine gewohnten Gegnerinnen aus dem Leichtgewicht. Ich musste mich auf seine wesentlich größere Reichweite einstellen, was für Angriff und Abwehr entsprechende Auswirkungen hat. Ich glaube, dass sich diese Art des Trainings bezahlt machen wird.“
Welche Techniken haben Sie hier herausgearbeitet?
„Es gibt viele Lösungsansätze, um den Reichweitenvorteil der Gegnerin zu eliminieren. Mein Trainer Juan Luis Benitez Cardenes hat mir in diesem Bereich viele Varianten gezeigt. Welche Taktik ich dann anwende, das kommt auf die Gegnerin und auf das Timing an. Aber das Training mit Matthias brachte mir enorm viel Selbstvertrauen.“
Im Olympischen Dorf darf „nur“ noch eine Sparringpartnerin dabei sein. Sie entschieden sich für Aleksandra Grujic. Warum für die Salzburgerin?
„Aleksandra ist kleiner als ich und muss viel schneller agieren. In den letzten Tagen vor dem Turnier geht es vor allem um Schnelligkeit und daran werden wir bis Donnerstag arbeiten. Mit ihr simuliere ich die Techniken meiner Gewichtsklasse und mache Mobilisitionseinheiten.“
Sie sprechen von Schnelligkeit. Wann war die letzte Krafteinheit?
„Vor drei Wochen waren wir zuletzt wirklich hart in der Kraftkammer im Einsatz. Jetzt gilt es, diese Power zu halten. Im Training kommen dafür verschiedene Hilfsmittel zum Einsatz. Aber das echte Work Out gibt es in dieser Phase nicht mehr.“
Kennen Sie den ehrwürdigen Nippon Budokan?
„Ja, aber ich habe noch nie in dieser Halle gekämpft. Ich war 2019 nach den European Games im Rahmen der Premier League hier. Ich hatte mir in Baku eine Knieverletzung im Finale zugezogen und wollte erst im Abschlusstraining entscheiden, ob ich in Japan kämpfe oder nicht. Es blieb dann bei der Zuschauerrolle. Ich kenne also die Bedingungen. Außerdem werden wir dort am Mittwoch, dem Tag von Auslosung und Abwaage, ein Abschlusstraining abhalten.“
Ihr Trainer Juan Luis Benitez Cardenes hat alle Gegnerinnen studiert. Wieviel wissen Sie davon?
„Er hat Tausende Kampfdetails in seinen Statistiken. Das ist aber seine Arbeit. Damit beschäftige ich mich nicht. Das wäre zu kompliziert, das alles in meinem Kopf zu verarbeiten. Ich brauche klare Anweisungen und die versuche ich umzusetzen. Dabei harmonieren wir, denn ich kann mich auf der Tatami zu 100 Prozent auf ihn verlassen.“
Sie hatten bislang – aufgrund des enormen Qualifikationsdrucks und auch wegen einer COVID-Erkrankung – ein äußerst durchwachsenes Jahr 2021. Davor gab es aber unzählige Erfolge. In wie weit ist die Bettina Plank von heute auf dem Niveau von European Games-Gold von 2019?
„Ich bin sehr froh über den Prozess, den ich durchmachte. Ich hoffe, ich kann die Lehren aus diesen Ups and Downs im Turnier umsetzen. Ich fühle mich bereit für den Kampf.“
Bei Olympia gibt es zunächst zwei Round Robin-Runden von je fünf Kämpferinnen. Die beiden Besten stehen im Halbfinale. Kommt Ihnen das entgegen?
„Jede Athletin hat zumindest einmal vier Kämpfe – so kann sich jede zumindest vernünftig präsentieren. Es kann auch Remis geben. Das ist ungewöhnlich, und es wird sicher taktische Überlegungen geben. Dennoch ist der Druck enorm und man muss an den nächsten Treffer denken und nicht an die Round Robin-Tabelle. Das Konzept hat aber der Coach im Kopf – nicht die Athletin.“
Olympia-Medaille – ein Traum oder ein Tabu-Thema?
„Wünschen tut sich diesen Podestplatz jeder. Ich selbst hab meine Erwartungen und Vorstellungen, wie ich das schaffen möchte. Ich werde am 5. August auf der Matte stehen, alles geben – und, was dabei rauskommt, das werden wir sehen.“
Für das Traumziel Olympia-Medaille ging European Games-Siegerin spezielle Wege
02.08.2021 - „Ich freue mich total auf die Olympia-Premiere meiner Sportart Karate und bin stolz, dass ich dabei sein darf“, fiebert Bettina Plank ihrem großen Auftritt am Donnerstag in Tokio entgegen. Die European Games-Siegerin der Klasse bis 50 kg trifft im Nippon Budokan in der zusammengelegten Gewichtsklasse -55 kg auch auf für sie nur wenig bekannte Gegnerinnen. Im Vorbereitungscamp in Kameoka ging die 29-Jährige daher auch ungewöhnliche Wege und sparrte neun Tage lang mit einem männlichen Trainingspartner.